Tidenrausch 2024 - effektives Seekajak-Lernen, starke Gemeinschaft und viel Spaß.
Das Boot ist noch voller Sand und die Klamotten voller Salz, aber das Momentum des gestern zu Ende gegangen Tidenrauschs, möchte ich nicht nur zum Putzen nutzen. Darum gibt es nun hier ein paar ganz frische Eindrücke von einigen Teilnehmern, die ich für euch zusammengestellt habe.
Am Freitag (30.05.) startete das Ausbildungssymposium an der Rampe in Neuharlingersiel, wo wir nach einer Woche Ausbildung auch wieder mit allen Leuten, Booten und Paddeln geschafft, aber sehr zufrieden anlandeten. Pünktlich zum Beladen der Boote hatte der Regen aufgehört und das Gewusel begann. Für eine Woche Camping und Paddeln braucht man eine ganze Menge Kram. Das Gerödel und die Logistik kann, zumindest für Neulinge wie mich, schon etwas stressig werden. Am Ende hat aber alles gut gepasst und selbst vergessene Zahnbürsten konnten im Kiosk auf der Insel schnell besorgt werden.
Ab der Überfahrt waren wir in festen Gruppen mit je 5-6 Personen einem Ausbildungsassistenten (Michael, Walter oder Roger) eingeteilt und lernten uns in dieser festen Konstellation über die gesamte Woche immer besser kennen. Dadurch konnten die Ausbilder täglich durch die Gruppen wechseln und ihre persönlichen Schwerpunkte vermitteln.
Am ersten Tag, Samstag, standen Paddeltechnik und Brandungspaddeln auf dem Lehrplan. Wir konnten in kabbeligem Wasser das Rollen oder einen Wiedereinstieg üben. Abends wurden Fragen aus der Hausaufgabe, die alle vorher eingereicht hatten, im Gruppenzelt besprochen.
Wer sich besonders verausgabt hatte, durfte sich zumindest körperlich am nächsten Tag erholen, da wir wegen 7 Bft Wind aus NW nicht in die Boote stiegen. Im gemütlichen Gruppenzelt erklärte Kai Urban die Notfallausrüstung für Fahrtenleiter und beantwortete Fragen zum Thema Leadership. Dann wurde von jedem Teilnehmer in Einzelarbeit eine navigatorische Aufgabe in Form einer Inselumrundung bearbeitet.
Am Montag wechselten wir uns auf dem Weg nach Neuharlingersiel als Fahrtenleitungen ab. Auf dem Weg zurück ging es noch auf die Swinnplate, während der Rücktour sollten, so spontan wie möglich, das heißt auf Kais Pfiff Kommando, verschiedene Paddeltechniken von uns gezeigt werden. Jochen hatte die Aufgabe, die Gruppe aus Neuharlingersiel unter erschwerten Bedingungen wieder herauszuführen, denn dabei durfte nicht gesprochen werden. Hier sein Eindruck dieser besonderen Herausforderung:
"Nur die rhythmische Bewegung der Gruppe, das Eintauchen der Paddel. Über allem eine gespenstige Stille. Die See ist ruhig, auch der Wind hat beschlossen lautlos zu sein. Kein Schlagen der Boote auf der Vorderseite der Wellen. Nichts, nichts, nichts. Kein Lachen, kein Gesprächsfetzen. Das Kopfkino rast. Wie sollen wir, ohne zu reden, die Incidents abwickeln, die angekündigt waren. Schleppverbände bilden, auflösen, Hands of God? Die Blicke in der Gruppe wechseln hin und her. Die Abstimmung klappt traumhaft. Die Spannung löst sich mit jedem Meter. Ein neues Gefühl von echtem Teamwork kommt auf. Dann die Unsicherheit, ist es die 18 oder die 16, die da so schön rot leuchtet. 18 liegt viel zu weit ab. Aber wo ist diese verflixte Teilungstonne? Vertrauen auf den Kompasskurs. Immer wieder Zeichen mit der Vorausfahrenden. Ab nach Norden. Erst mal lesen, was auf der Tonne steht. Alle fahren Frederike hinterher. Es funktioniert wie von Geisterhand gezogen, die Gruppe hin und her zu steuern. Alle machen mit und gucken aufeinander. Ohne ein einziges Wort. Dann taucht die OB 13 auf, alles wie nach Plan. Sie war nur versteckt vor dem Gebirge von Spiekeroog am Horizont. Jetzt entspannt bis zur Swinnplate. Auf der Höhe von OB9 ist alles durch. Was für eine Erfahrung, komplett non verbal zu kommunizieren. Und es hat das Team so zusammengebracht. Man sollte das viel öfter machen."
Der Dienstagmorgen begann früh, denn wir hatten viel vor. Wie am Sonntag geplant, sollte es einmal rund Spiekeroog gehen. Ralf hat den Tag so zusammengefasst:
"Die Umrundung der Nordseeinsel versprach mit etwa 17 Seemeilen eine anstrengende und lange Tour zu werden. Unsere Route führte uns gegen den Uhrzeigersinn durch die Swinn zwischen besonderen Schutzgebieten hindurch. Ein wichtiger Navigationspunkt war die gelbe Tonne, die wir mittels Deckpeilung und regelmäßiger Positionsüberprüfung suchten und fanden. Auf dem Weg zum Spiekerooger Wattfahrwasser stellten uns die Ausbilder immer wieder "Prüfungsfragen", um unser Wissen zu testen. Eine erste Herausforderung auf der Seeseite war das Anlanden durch die Brandung. Dank unseres amtierenden Fahrtenleiters, der ruhigere Stellen fand, gelang dies sicher. Ursache für diese ruhigeren Stellen war ein Ripp-Strom, der sich vom Strand ins offene Meer erstreckt. Das Highlight war ein simulierter Incident, den wir als Gruppe managen sollten. Dabei haben wir einen handlungsunfähigen Paddler in einem Päckchen sicher durch die Brandung an den Strand gebracht. Am Ende des Tages spürte ich die Anstrengung und kam, Dank der kräftigen Unterstützung durch einen Mitpaddler, der mich über mehrere Seemeilen im Schlepp nahm, ans Ziel.”
Da wir am Mittwoch aber auch etwas später starteten, konnten wir uns gut erholen. Die meisten jedenfalls., wie aus dem Bericht von Frederike ersichtlich wird.
“In der vorletzten Nacht zogen einige Sturmböen über die Insel. Alle Zelte haben das zum Glück gut überstanden. Aber nur fast: Niemand hatte am Abend daran gedacht, die Eingangsseite vom Gemeinschaftszelt zu schließen. Der Sturm kam ungewohnterweise aus südlicher Richtung. Fast wäre es abgehoben. Dickes Dankeschön an Kai und Jochen: Sie haben nachts bei Sturm und Regen das Zelt geschlossen und die Heringe wieder eingeschlagen. Das hätte echt böse enden können."
Zum Glück wurde Frederike nachts nicht vom Gruppenzelt umgefegt und kam am Mittwoch, dem vorletzten Tag voll auf ihre Kosten:
"Geplant war ursprünglich für Mittwoch eine frühe Ausfahrt mit Brandungspaddeln. Das klappte leider nicht. Wir mussten länger schlafen und konnten erst später los, als der Wind nachgelassen hatte. Bei strahlendem Sonnenschein und 5-6 bft konnten wir dann Rettungstechniken in Wellen und etwas Brandung üben und uns am Strand vor dem Zeltplatz austoben. Wir konnten uns überlegen: Was wollten wir in unserer Gruppe noch oder nochmal ausprobieren? Ich schlug vor, noch einen Incident abzuwickeln. Das wollte ich gerne nochmal machen. Die Bedingungen schienen schwierig genug, um etwas zu lernen. Aber bis auf das Schaukeln war es nicht zu herausfordernd. Es gab hohe, aber doch sehr zahme Wellen. So zahm, dass man sie nicht surfen konnte. Natürlich kenterten trotzdem alle meine Mitpaddler und am Ende musste ich ihnen beim Einsteigen helfen und einen Paddler gestützt durch die Brandung bergen. Beim letzten Mal haben wir die Boote des Geschleppten und der Unterstützerin geflutet. Das System war gut, aber es gab bei der Durchführung noch Optimierungsbedarf. Jetzt nutzten wir einen Helm als Treibanker an einer Schleppleine. Der Vorteil: Der Helm surft nicht. Außerdem: Meine Gruppe hatte nur 3 Teilnehmer. Dadurch wird eine Person, die sonst das Päckchen hinten vom Surfen abhält, frei. Bei stärkerer Brandung könnte man auch 2 Helme hintereinander auswerfen. Alle sind heile an Land angekommen. Das hat Spaß gemacht und war ein schöner Abschluss des Trainings."
Den Mittwochnachmittag verbrachten wir größtenteils gemütlich auf dem Zeltplatz mit Kaffee trinken und schnattern. Die Ausbilder gaben außerdem jedem einzelnen ein Feedback zu den verschiedenen Ausbildungsinhalten. Reinhards eindrückliches Fazit fasst das Ganze sehr gut zusammen:
“Es ist oft in den Momenten, in denen ich mich unwohl fühle und unbekannten Herausforderungen gegenüberstehe, die mir den größten Lernfortschritt bescheren. Dabei sind Fehler unvermeidlich und gehören zum Lernprozess. Wenn ich Fehler machen kann und das in einem Rahmen, der genau das erlaubt, bieten sich mir wertvolle Gelegenheiten, meine gewohnten Strategien und Denkweisen zu überdenken und zu verbessern. Meine "Fehler" während des Tidenrauches sind nicht das Lern-Ende, sondern ein wichtiger Input zur Verbesserung meiner Seekajakfähigkeiten. Durch die gemeinschaftliche und wohlwollende Analyse der Fehler in vielfältigen Übungen und Aufgaben konnten wir herausfinden, was ggf. schiefgelaufen ist und wie ich es in Zukunft anders und ggf. besser machen kann. Diese Reflexion hilft, Fähigkeiten zu schärfen und zu optimieren. Das Verlassen meiner Komfortzone ist ein weiterer Schlüssel fürs Lernen: dort ist der Bereich, in dem ich mich sicher und professionell fühle, wo ich keine besonderen Risiken erwarte und mich in bekannten Routinen bewege - aber kein Raum für Entwicklung! Besser werden, wachsen und volles Potenzial ausschöpfen braucht Herausforderungen in neuen, ungewohnte Situationen - das ist genau da, wo das kribbelnde Gefühl beginnt: hohe Wellen, Brandungszonen längs und quer passieren, Winde um 6 Bft., Rollen mit dem schnell gegriffen Ersatzpaddel bei Strömung, simulierte Rettung eines bewusstlosen Schwimmers, Anlandung eines Verletztentransportpäckchens, Schleppen und Geschlepptwerden, simuliertes Reparieren einer Leckage am Kajak, lautes Schreien, weil sonst kein Durchkommen der Info ist, Shelter ausprobieren und und und - das liegt außerhalb meiner Komfortzonen in teils unbekannten Territorien und erzwingt kreativ und flexibel zu sein. Diese Erfahrungen erweitern mein Wissen und meine Fähigkeiten - und meine Komfortzone. Die Kombination von Lernen aus Fehlern und dem Verlassen der Komfortzone beim Tidenrausch hat mir tolle Erfahrungen und mich näher an die Freude, den Genuss und den Spaß des Seekajakfahrens gebracht. Vielen Dank dem tollen Ausbilder- und Helferteam, die das mit viel Geduld, Witz, Können und außerordentlichem Engagement ermöglichten: es war Spitze!!!”