Shangri La oder das Glück liegt hinter der Ansteuerungstonne ...

Es gibt viele Wege sein Glück zu finden. Des Paddlers Glück an sich ist ja in Form, Umsetzung und Erlebnis schon sehr speziell. Doch das sollte sich noch steigern lassen.

Meistens fällt das Glück in Form der Ansteuerungstonne dem modernen Kartenschnitt zum Opfer.

Wer seine Karten selber einscannt und platzoptimiert sowie optisch barrierefrei abbilden will, schneidet sie in der Regel einfach weg. Sollte sie doch versehentlich innerhalb des Kartenrandes abgebildet sein, wird sie schlichtweg ignoriert, nicht beachtet oder einfach übersehen.

Es gibt ja so viele attraktive Seezeichen und Landmarken in Küstennähe, die als Peil-, Navigationshilfe oder zur Pausenorientierung herhalten können. Manche versprechen sogar Kaffee und Kuchen...

Ganz unscheinbar am Kartenrand liegt das Glück versteckt. Natürlich ist das Glück sehr wählerisch und gibt sich nicht gleich zu erkennen. Es bedarf einiger spezieller Rahmenbedingungen, einer ganz bestimmten Konstellationen, die nur sehr selten anzutreffen sind.

Und auch dann, wenn alle äußeren und inneren Umstände stimmig sind, bedarf es einer göttlichen Fügung, eines schöpferischen Sahnehäuptchens, um das Glück, hier in Form ei- ner Symbiose zwischen Naturgewalten, Mensch und Tier, sichtbar zu werden zu lassen...

6 Bft in Boen 7 Bft aus NW, 1,5 h vor Niedrigwasser starten wir an der Süderdüne Richtung Norden.

Ansteuerungstonne am HorizontDie körperliche Belastung liegt sofort bei gut submaximal. Der Winddruck ist enorm. Die Fahrt über Grund ist kaum wahrnehmbar. Die Körperhaltung wird noch einmal einer aerodynamischen Optimierung unterzogen. Zwiespalt. Geplant sind 1,5 h Fahrtzeit mit submaximaler Leistung, aber ohne Fahrt über Grund, wirkungslos. Also doch eher maximale Belastung.

Wir sind zu Dritt, ein gemischtes Team. Jeder bringt seine persönlichen Stärken mit ein. Es gibt kein Hadern. Alle sind fokussiert.

Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir auf der Höhe der Robbenplate. Die Wellenhöhe nimmt zu. Am Horizont sind die Brandungszonen gut zu erkennen.

Die Gruppe hat ihr Tempo gefunden. Im Kurzbriefing haben wir besprochen, den Backbordtonnenstrich zu folgen.

Der Starkwind aus NW sorgt für eine extreme Verdriftung Richtung Osten. Wir traversieren mehr als das wir fahren. Dann endlich ist die zweite Backbordtonne erreicht.

Zur Verständigung nutze ich ein im Swift Water Rescue übliches Handzeichen. Eine nach unten gedrehte Faust auf dem Kopf signalisiert als Frage: „Alles OK?“ und ist in der Erwiderung die Bestätigung für „ Alles OK!“.

Die ersten Wellen bilden nun Schaumkronen und fangen an sich gelegentlich zu brechen.

Ab und zu drücken Windböen die Bootspitze auf dem Wellenkamm Richtung Lee. Eine beherzte Körpervorlage inkl. Bogenschlag korrigiert die Bewegung und schon beim Gleiten in das nächste Wellental stimmt die Richtung wieder.

Ansteuerungstonne am Horizont

Permanent antizipiert mein Neocortex alle äußeren und inneren Parameter in die nicht allzu ferne Zukunft. Die ersten Sorgenfalten bilden sich auf der Stirn, während mir mein limbisches System weiterhin ein breites Grinsen beschert.

Die erste große Brandungszone zwischen den äußeren Sänden ist erreicht. Wir können nun ab und zu, sofern wir uns auf einem Wellenkamm befinden, im Osten die Ansteuerungstonne schemenhaft erkennen.

Das ist einerseits schön, das Ziel sozusagen in Sichtdistanz zu haben. Andererseits heißt das aber auch, dass wir die vor uns liegende Brandungszone diagonal durchqueren müssen. Respektvoll schauen wir auf die einrollende Dünung mit ihren langen Schaumkronen.

Nach einer kurzen Absprache gebe ich die Fahrtroute vor. Wir fächern uns etwas auf und erhöhen die Abstände um uns nicht gegenseitig zu gefährden.

Die Wellen haben eine perfekte Länge. Die Wellenhöhe dagegen wirkt sehr imposant. Die Abstände zwischen den Brechern sind so groß, dass genügend Platz bleibt, um das Boot in den Wellentälern soweit zu beschleunigen, dass ein überwinden des nächsten Brechers möglich ist. Trotzdem ist es mental anstrengend. In den langen Wellentälern sind wir gut gegen den Wind abgedeckt und kommen wiedererwarten gut voran.

Es ist eine Mischung aus Anspannung und Freude, die uns beflügelt. Zur Belohnung für die Strapazen bricht die Wolkendecke auf und ein gleißendes Licht fällt auf die raue und aufgeschäumte See. Die Ansteuerungstonne ist nun zum Greifen nah.

In diesem Moment der Freude höre ich ganz dicht neben mir ein lautes Atemgeräusch. Auf Paddellängendistanz schwimmt eine Schule Schweinswale an mir vorbei, verweilt, bläst Luft aus und verschwindet hinter meinem Rücken.

Schlagartig verändert sich für kurze Zeit alles. Entspannung und Glücksgefühle machen sich breit und weichen mit der Zeit einer ungebremsten Euphorie und Lebensfreude.

Vielen Dank an Eva und Ralf, ohne die ich dieses Erlebnis nicht hätte teilen können.

 

Fotos: Eva Henneböhle, Lars Everding