Baltik Biwak zwischen Priwall und Poel

Eine Tour zu mystischen Orten und einer versunkenen Insel

Alles deutete darauf hin, dass sich die einstellende Konstellation der Hoch- und Tiefdruckgebiete eine sehr stabile ist und Störungen nur von kurzer Dauer sind. Also konnte ich mein Zelt getrost zuhause lassen, packte stattdessen genügend Trinkwasserkanister, meinen Schlafsack und die Isomatte ein, fuhr nach Travemünde zur Priwall-Station und machte dort mein Kajak für eine kleine Naturbeobachtungstour klar.

Boarding am Priwall

Mare Balticum, kein Wind, kein Regen, keine Gezeiten und „Annelie“ machte mich schon ganz heiß (das Hochdruckgebiet), so startete ich meinen Törn bei absoluter Flaute und hochsommerlichen Temperaturen.

Weich und süß, die Marzipan-Bucht

Mit nord-östlichem Kurs ging es über immer seltener werdenden Seegraswiesen entlang der west-mecklenburgischen Küste, deren Form sich auf den nächsten 12 sm von flachen, weiten Sandstränden zu einer schroffen, hoch aufragenden Steilküste wandelte mit einem alten Laubwaldbestand aus Rotbuche, Erle und Esche. Das bis zu 40 Meter hohe Steilufer von Großklützhöved ist nach Rügens Kreidefelsen die zweithöchste Steilküste an der deutschen Ostsee. Bei dem Steilufer handelt es sich um eine aktive Kliffküste, deren Erscheinung sich aufgrund der erosiven Brandungsarbeit ständig verändert. Dies ist ein natürlicher Prozess, der sich seit jeher ereignet. Dem Kajak-Wanderer kann das jedoch vor großen Herausforderungen und Überraschungen stellen, wenn die bekannten Pausenplätze der letzten Saison auf dem schmalen Küstenstreifen weggespült oder verschüttet worden sind.

Ebenso überraschend können die großen Findlinge sein, die weit verstreut herumliegen, insbesondere wenn man sie nicht rechtzeitig als Hindernisse unter der Wasseroberfläche erkennt.

Wo der Wald ins Meer stürzt

Nord-westlich von Boltenhagen, wo sich die Steilküste zur Bucht hin abflacht, kam ein erratischer Block zum erliegen, ein etwa 8 m breiter und 4 m hoher Granit-Findling aus Bornholm. Der 1,4 Milliarden alte Stein hatte schon ganz andere Zeiten erlebt und verdeutlichte mir, dass es in der letzten Zeit in dieser Region nicht immer so warm gewesen ist.

Erratischer Block

Von hier aus ist der nächste gemütliche Pausenplatz auf direktem süd-östlichem Kurs etwa 6 sm entfernt und will man keine unnötigen Umwege und zusätzliche Meilen ausfahren ist von nun an „Huk-hüpfen“ angesagt. Das bedeutet die kommenden zwei Buchten zu queren, ohne Möglichkeit unterwegs anzulanden, denn die nächste Huk, die die Boltenhagener Bucht von der Wismarer Bucht trennt, ist Tarnewitz. Es ist ein mystischer Ort mit vielen Legenden, den es vor 80 Jahren noch gar nicht gegeben hat und an dem man heutzutage nicht mehr sein darf.

Die Halbinsel vor der Wohlenberger Wiek wurde 1935 auf einer Untiefe künstlich geschaffen. Das so entstandene Gelände diente der Wehrmacht als Grundlage einer geheimen Erprobungsstelle für Flugzeuge und Waffen aller Art. Die Halbinsel galt nach der Wende als ein einziges Pulverfass, 1995 wurde eine Fünf-Zentner Bombe gefunden und das gesamte Areal gesperrt, auf dem zuvor wilde Techno-Partys stattfanden. Seitdem ist das Naturschutzgebiet nach EU-Recht als FFH-Gebiet und Vogelschutzgebiet eingestuft.

In den vergangenen Jahren wurden in der Nähe bei Küstenschutz-Aufspülungen mit Saugbaggern unbeabsichtigt die Altlasten vom Grund der Ostsee wieder zu Tage gefördert.

Tarnewitz, der Name ist Programm

Die dunkle Vergangenheit erstrahlt nun in einem neuem Glanz. Aus dem alten Fliegerhorst der Wehrmacht entstand an der alten Hafenanlage im östlichen Bereich der Halbinsel ein mondänes Ressort mit Yachthafen, Hotels, Tennisplätzen, Wellness- Center und Boutiquen, die Marina „Weiße Wiek“.

An mein Reiseziel stellte ich andere Ansprüche und so paddelte ich weiter, querte die Wohlenberger Wiek und erreichte die idyllische Wischendorfer Huk. Hier würde man immer einen ruhigen und geschützten Platz finden, egal aus welcher Richtung der Wind weht.

Traumfänger

Nach der geruhsamen Erholungspause wurde ich angenehm von fröhlichem Vogelgezwitscher geweckt, die Sonne schien vom strahlend blauem Himmel und ich machte mich auf zur nächsten Etappe. Erst einmal rüber zur Insel Poel, wo ich im Timmendorfer Hafen Trinkwasser bunkern, ein aktuelles Fischbrötchen und einen frischen Wetterbericht einholen wollte, denn mein Bericht war bereits drei Tage alt.

Ist man von den dänischen Marinas verwöhnt mit ihren Wetterautomaten, die Internetzugang zu drei Wettervorhersageseiten (DWD, DMI, Windfinder) rund um die Uhr kostenlos bereitstellen, so ist man im Hafen von Timmendorf der Laune des Hafenmeisters ausgesetzt. Wie so oft war das Büro nicht besetzt und diesmal hing gar keine Wettervorhersage im Aushang aus. Es schien mir, als ob ich heutzutage der Einzige bin, der ohne Internet-Verbindung zur See fährt. Dafür fühle ich mich eher mit der Natur verbunden.

Allerdings bin ich nicht unterwegs auf der Nordsee, sondern auf dem Mare Balticum! Und weil hier nicht der Mond, sondern die Sonne das Tages- und Nachtgeschehen bestimmt, ist Alles etwas entspannter. Ich hätte also auch meinen Chronometer zuhause lassen können. So machte ich mich von Poel, mit einem alten Wetterbericht und westlichem Kurs, auf die Suche nach der versunkenen Insel, ins Ungewisse.

Pausenplatz Poel, der „Tresenstein“

Was soll schon im Sommer bei einer ausgedehnten Hochdruckwetterlage, trockener Luft und strahlend blauem Himmel an der Küste passieren? Richtig: thermische Ausgleichsströmung, Seewind!

Ich war also wieder unterwegs mit meinem Kajak, der Wind frischte auf und so wurde es auf der Fahrt von Poel nach Tarnewitz ein wenig kabbelig bei der Querung des Wismarer Fahrwassers. Auf etwa halbem Weg zwischen der Insel und dem Festland würde ich an der Untiefe Lieps vorbei kommen. Hierbei handelt es sich um eine der wenigen Windwattflächen, die es in der Ostsee gibt, da der besonders flache Wasserbereich bei Niedrigwasser, bedingt durch Windrichtung und Strömungen, trocken fällt. Dabei kann die Trockenphase, je nach Wetterlage, schon mal einige Wochen andauern.

Der Name Lieps, früher Lips, ist vermutlich vom slawischen Wort lipa für Linde abgeleitet, was für eine damalige Bewaldung spricht. Im Mittelalter war die Lieps eine Halbinsel und erstreckte sich vom heutigen Tarnewitzer Huk aus in Nord-Ost-Richtung. Die Landverbindung wurde durch Sturmhochwasser durchtrennt, seitdem war die Lieps eine Insel, die sich mehrere hundert Meter in Ost-West-Richtung erstreckte, urkundlich im Jahre 1266 als Insula Lypec erwähnt, und über einen befestigten Turm verfügte. Die Hansestädte Lübeck und Wismar errichteten im 13. Jahrhundert auf vorgelagerten Inseln die ersten Seezeichen.

Auf einer alten Karte von 1790 ist die Insel Lieps noch verzeichnet, allerdings ohne Seezeichen. Im Jahre 1872 kam es zur größten Sturmkatastrophe in der gesamten Ostsee. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts verschwand die Insel endgültig von den Seekarten.

Die versunkene Insel

Den alten steinernen Turm gibt es nicht mehr, die mythische Insel ist im Meer versunken und das Betreten der Sandbank sollte aus Naturschutzgründen tunlichst vermieden werden. Da auch das Anlanden auf der Tarnewitzer Huk untersagt ist, paddelte ich weiter, vorbei an Boltenhagen, zurück zur Steilküste. Unterwegs frischte der Wind aus nord-östlicher Richtung immer stärker auf und ich suchte an Land einen Wind geschützten Pausen-Platz, vergebens. Das Steilufer flachte ab und am Strand fand ich einen geeigneten Platz für eine Ruhepause. Zum frühen Abend hin, mit abnehmendem Sonnenstand, nahm auch der Wind ab. So saß ich wieder am entlegenen Strand und genoss die Stille. Über dem nördlichem Horizont schienen im Dunklen die leuchtenden Nachtwolken.

Malerischer Moment

Da ich aufgrund der Windverhältnisse schneller voran kam als berechnet und eine gute Strecke gemacht hatte, konnte ich mir am letzten Tag Urlaub gönnen, mit einem ausgiebigem Sonnenbad und Schnorcheln in den Seegraswiesen. Bis zum frühen Nachmittag hatte sich wieder eine moderate Thermik entwickeln können, sodass ich mit mäßigem bis frischem Rückenwind heimwärts zur Priwall-Station paddelte. Dabei setzten sich einige Wellen Kronen auf und luden zum Surfen ein.

Zurück angekommen, an der Station, verpackte ich das Kajak und die Ausrüstung auf und in meinem Bulli, parkte diesen auf einen in der Nähe gelegenem Stellplatz und verbrachte dort noch eine erholsame Nacht an der See. Am nächsten Morgen in der Früh fuhr ich von dort aus direkt zur Arbeit. Ein erlebnisreicher Kurzurlaub ist wieder einmal viel zu schnell vorbei gegangen!