Janus auf Neuwerk: eine Insel –zwei Gesichter

Teil 1: “BANG-BANG!”...vor NEUWERK...

Neuwerk, als Hamburger Appendix liegt am Scheitelpunkt des Elbefahrwassers, wie eine achtlos dahin gekippter Haufen Sand. Halbkreisförmig begrenzt durch einen nicht enden wollenden Strom an mit Gobalisierungsmasse beladenen Gigalinern der Meere. Containerschiffe, hochgetürmt bis ins Himmelreich, ziehen Ihre Bahnen zwischen Konsumenten und Produzenten entlang des Elbefahrwassers. Eben noch geschützt vor den IndividualsportlerInnen und deklariert als ökologisch schützenswerte Scholle, nun verloren als Deponie der Sedimentrückstände einer Elbvertiefung, die weder in Bensberg noch Rotterdam seismographische Erschütterungen auszulösen vermögen. Die Pfeffersäcke playen global, egal wie scheu das Reh ist.

Es weht, wie immer eigentlich. Graue Wolkenfetzen auf grauem Grund lösen keine Kontraste aus. Weder amplituden- noch frequenzmodulierte Transmitter überqueren den postsynaptischen Spalt. Wie Blei durchbricht das Gemüt das Sein.

Der Wind briest auf und vermag auf den Rezeptoren der Haut zumindest eine Irritation auszulösen. Wie ein Lockruf ereilt das elektrische Potential das limbische System und entfacht ein neuronales Flämmchen im Broca Areal und führt zur Lautbarung.

“Paddeln” entfleucht es wie ein zarter Hauch meinen Lippen. Der Junkie ist getriggert.

Das Prozedere des Klarierens, routiniert und fahrig zugleich, bringt mich zur Rampe und zu meinen Mitstreitern. Der Wind kommt, Jan Cux bleibt, in 7er Böen aus Nordwest von vorn.

Zu Dritt und hexengleich beginnt der Ritt auf des Elbes Tide.

Seezeichen so groß wie Ungeheuer führen uns in die Versuchung des Tidenstromes und locken uns sirengleich in die Tiefen des Fahrwassers.

Wellen bauen sich vor uns auf und ihre Gischt nimmt uns die Sicht. Der Wind verhöhnt uns in unseren Ohren und auf leisen Füßen spielt die Abdrift ihr boshaftes Spiel mit uns.

Wer alle Körner verschossen hat und die Fahrt über Grund nur noch ein unerreichbarer Traum zu sein scheint, dem hilft des Tiden Stromes und zwar dort, wo er am meisten fließt. Tief und Dunkel am Rande des Fahrwassers gibt er uns Hoffnung und verklärt die Gefahren.

Ein Schatten, gleich einer Sonnenfinsternis, aus achtern kommend, schneidet uns in Form ein riesiger Tonnenleger der Küstenwache unseren mühsamen Weg und drängt uns noch mehr ins Fahrwasser.

Der Wind bläst. Die Wellen erreichen beachtliche Höhen. Kämme brechen. Die Gruppe kämpft. Mit Gischt in den Augen und dem Zetern des Windes im Ohr hören wir nun achtern ein Flüstern. Es durchdringt den Lärm und der Appell trifft uns ins Mark. Zwei uniformierte Personen in einem motorisierten Schlauchboot bellen den Appell. Der Ton ist barsch, die Botschaft klar verständlich. Raus aus dem Rand des Fahrwassers.

Dann fällt der Satz, eines Schafottes gleich, BANG!

“Das nächste Mal knalle ich euch ab!”

Wie entrückt änderten wir unseren Kurs klar und eindeutig im rechten Winkel zum Fahrwasser und verschwinden für immer in der haushohen Brandungszone auf den Sänden vor Neuwerk.

Der Weg ist noch weit. Der Priel im Norden von Neuwerk ist noch nicht ganz erreicht. Dann, endlich, die letzten Sonnenstrahlen erhellen die peitschende See, erreichen wir die Einfahrt zum Priel.

Oh weh, wie wenig Wasser uns nur noch bleibt und wie dieses wenige Wasser uns mit aller Kraft entgegenläuft. Zäh ist der Weg, gering die Wassertiefe. Aus dem Paddeln wird zunehmend stochern. Auf schlingerndem Kurs nähern wir uns Neuwerk auf amphibischen Wege.

Längst hat uns die Sonne verlassen. Die abendliche Kälte fällt auf uns herab. Wir mühen uns, fallen auseinander, jeder kämpft für sich im fuß tiefen Wasser. Endlich, die Uhr geht auf Mitternacht, erreichen wir mit müh und not den Anleger von Neuwerk.

Eine halbe Stunde später sind wir wieder vereint und ertragen die Schelte des Verlassenen und nun wieder Aufgeschlossenen.

Dann zockeln wir berädert Richtung Hus am Diek, klarieren unser Nachtlager und fallen “wie erschossen” in den Schlaf.

Lars Everding, Nov. 2020

 

Teil 2: „Boom – Boom“ auf Neuwerk

Diesmal können wir hochnäsig, Sonne und Wind auf unserer Seite wissend, die Hilfe der Strömung ausschlagen und uns fahrwasserverordnungskonform die Elbe hochtreiben lassen. Malerisch verfolgt uns ein Fischkutter, der seine flügelgleichen Netze noch lange oben behält, bis er fischreiche Gründe erspäht hat.

Vor dem Abzweig in den Neuwerker Priel warten wir auf den Sänden mit Kekskrümeln in den Mundwinkeln und einer Robbe mit Kaffee zuprostend auf den Tidenkipp, um den Priggenweg bis zur Hamburger Eiland passieren zu können.

Die Ungeduld treibt uns voran, dem langsam auflaufenden Wasser helfen wir nach, indem wir uns mit Paddel und Händen voranschieben. Die Abgeschiedenheit, die Langsamkeit und die Sonne lassen uns in eine Art Trance verfallen: Mit den Fingern fischen wir Krabbenlarven und die Schalen der pazifischen Austern vom Meeresgrund. Wir reduzieren unsere Sinne und unsere Blicke auf die nächste Umgebung: Verhängnisvoll für einen kleinen Einsiedlerkrebs, den wir trotz seiner Putzigkeit ärgern müssen. Er gibt uns sein Missfallen drohend mit gerecktem Kneifwerkzeug, über die Seekarte auf dem Vorderdeck krabbelnd, zu verstehen. Vom mühseligen Voranschieben durch den Priel entnervt, rollern wir die Boote ein ganzes Stück bis zur Zeltwiese der Gaststätte „Das alte Fischerhaus“.

 

Hier können wir drei Gruppen ausmachen, die zwar nicht zusammengehören, ihre aber gleich geartete Intention durch Pavillons, Musikanlagen bis hin zu fantasievollen Rohrleitungen, die von einer Bierquelle abzweigen, kundtun. Ihre volle Schlagkraft entfalten sie mit dem Einfall der Dämmerung: Ballermann lässt grüßen! Glücklicherweise verfügen sie alle über einen für uns akzeptablen Musikgeschmack, sodass wir uns durch eine Kakophonie geschätzter Songs in einen leichten Schlaf wiegen lassen.

 

Die kurze Nacht und die gute Wetterprognose verleiten uns in einer schlaftrunkenen Euphorie unsere Rückreise, um Scharhörn herum zu verlängern. Den tropischen Temperaturen geschuldet diesmal ausnahmsweise ohne Trockenanzug, verlassen wir Neuwerk nach Südwesten, um uns auf die Umlaufbahn von Scharhörn zu begeben. Die Priggen lassen auf sich warten: Nicht der gespenstische Dunst und die totale Windstille haben sie nebst der Betonnung verschluckt: Es wird hier wohl ein Rückbau fassbar, der sich auf unserer etwas angestaubten Seekarte noch nicht kartografisch niedergeschlagen hat. So fahren wir nach Sicht und Kompass. Die Stille, noch unterstrichen durch das keuchende Husten der Robben vom nahen Sand, wird nicht durch den fliegenden Holländer durchbrochen, dessen Auftauchen wir fast erwartet hätten.

Die Sände von Scharhörn ziehen sich ins Unendliche. Die Fahrt durch das gefühlte Nirwana durchbrechen wir mit akrobatischen Pinkelübungen über Freibord oder in eine Flasche. Die Mündung der Elbe begrüßen wir dann mit Freude, obwohl wir wissen, dass das nachlaufende Wasser des Flusses uns auf etliche Kilometer eine Gegenströmung bescheren wird. Mit blutigen Pfoten nähern wir uns Cuxhaven. Die Sonne senkt sich, die Küstenwache überholt uns diesmal im gebührenden Abstand. Kurz vor dem Leitdamm erwischt uns das auflaufende Wasser dann doch voll und zerrt an den Booten als wir gerade noch einen zeitlich und örtlich deplatzierten Boxenstopp auf einer Sandbank eingelegt haben.

 

Kurz nach Sonnenuntergang zwinkert uns die Kugelbake freundlich zu und wir schwingen unsere müden Gliedmaßen am Helgoland Kai ans Ufer in ein sommernachts-maghrebinisches Getümmel.

Eva Cott, Nov. 2020